Mit frisch geputzten Zähnen und kaltem Wasser im Gesicht realisiere ich nun mehr und mehr, dass wir tatsächlich in Spanien angekommen sind. Ich drehe mich um die eigene Achse, mein Blick fällt auf eine Anhöhe vor mir. Da wollen wir hin! Mulhacen! Mittlerweile kann ich verstehen, warum Maike dieser Berg letztes Jahr so wichtig war!
Dieser Berg ist ein Ar***l*ch!
Letztes Jahr warf er uns schon alles entgegen, was er konnte. Unübersichtliche Wege, Wind, Geröll, Schnee, Eis und Hagel… gelandet sind wir dann tatsächlich auf dem klelinen Bruder:
Alcazaba.
War auch schön. Aber wie das so mit Zielen ist, die man sich steckt: Entweder ganz, oder gar nicht!
„Dieses Mal gehörst du uns, du Mistsau!“
Den letzten Satz spreche ich aus Versehen sogar laut aus, bevor ich mit Maike den Dorfladen ansteuere. Wir decken uns mit haltbaren Vorräten ein, kalkulieren unseren Wasserbedarf und packen unsere Rucksäcke um. Was nicht gebraucht wird, fliegt raus…wahlweise planlos in den Kofferraum oder mit ordentlichem Schwung unter einen der vorderen Sitze. Wer Ordnung hält ist nur zu faul zum Suchen!
Dann schultern wir unser Marschgepäck und los geht’s. Bis zu einem geöffneten Café, nur 50m weiter. Puh, ist das heiß! Erstmal eine kalte Cola!!
Was wir uns an Schlafkomfort selbst verwehrt haben, füllen wir jetzt mit dem beliebten Kaltgetränk wieder auf! Es ist jetzt schon beinahe unerträglich warm und für die nächsten 2-3 Stunden steht uns ein harter und steiler Marsch ohne sonderlichen Schutz vor der Sonne bevor. Da es in den nächsten Tagen nur Wasser – und vielleicht hin und wieder 2in1 Kaffee geben wird, liegt es nur nahe, nochmal die Freuden der Zivilisation zu genießen… zumindest in flüssiger Form.
…mmh… vielleicht noch ein Eis?!?
Man ist immerhin gleich erstmal für mehrere Tage in der Wildnis unterwegs… 😛
Bis wir an diesem Tag endlich unterwegs sind, ist bereits wieder Siesta Time. Perfekte Startuhrzeit für eine Bergtour…bei ca. 40 Grad im Schatten, steil von oben herabbrennender Sonne und pro Kopf 12kg Marschgepäck!
Unser Startpunkt liegt etwa bei 1.500m, unser Ziel, der Mulhacén, liegt auf 3.482m. Ein Aufstieg von ca. 2000m erwartet uns…
..ein wenig hat unsere Herangehensweise etwas von Vermeidungsversuch! Wir wissen, welch schwieriger Part auf uns zukommt und ohne dass wir es uns eingestehen wollen:
wir trödeln!
Immer wieder stoßen wir auf Frischwasserbäche und Quellen. Da ich nicht sicher bin was uns weiter oben erwartet, bestehe ich darauf zumindest eine Flasche pro Kopf bei jeder sich bietender Gelegenheit nachzufüllen…und sei es nur als Abkühlung für den kochenden Schädel!
Diese Abkühlung ist auch dringend nötig. Bei mir zumindest. Bereits kurz nach unserem Aufbruch spüre ich, dass ich nicht so fit bin wie sonst. Stress, viel Arbeit, Umzug und Co haben ihre Spuren hinterlassen, hinzu kommt ein Kurzbesuch beim Arzt…nur zwei Tage vor Abflug nach Spanien. Ich bin ja auch ein Idiot!
Die Landschaft ist uns nur allzu bekannt. Trotzdem besticht sie wieder durch ihre Wild- und Schönheit. Ich genieße den Ausblick um mich herum, wie schon letztes Jahr und versuche mich von der immernoch steigenden Temperatur abzulenken.
An einem Platz, ca. 1,5 Stunden oberhalb der Stadt, machen wir eine kurze Rast. Wir trinken ausgiebig und ich verteile Elektrolythe. Bei dem, was wir hier verschwitzen, ist das dringend nötig! Und ich will nicht schon so kurz nach dem Start an meine Grenzen geraten. Aber wie immer kommt es anders als man denkt.
Da ich darüber hinaus auch noch niedrigen Blutdruck habe, komme ich mit großer Hitze eh nur sehr schwer zurrecht. Was der Blutdruck nicht schafft, versucht der Puls zu kompensieren. Bei diesem Anstieg, der an sich schon anstrengend ist, ein böser Teufelskreis, der mich schneller ans Limit bringt, als mir lieb ist.
Ich merke zunächst nicht, dass ich zurückfalle. Schicke Maike nur einmal vor, da ich kurz verschnaufen muss. Doch dann kann ich plötzlich einfach nicht mehr mithalten. Der Abstand wird immer größer und immer öfter schaut Maike sich ungläubig um. Ich bin immerhin ehrlich zu mir selbst und gebe zu, dass ich heute öfter eine Verschnaufpause brauche als sonst…“die letzten werden die ersten sein“ – muntere ich mich auf… aber nur wenige Kilometer vor der ersten Schutzhütte habe ich mein Limit erreicht.
Das habe ich schon lange nicht mehr erlebt: Plötzlich sacken mir die Beine weg und ich lande hart auf meinen Knien. Mir ist schwindelig und ich kann mich gerade noch so mit meinem Trekkingstock abstützen. So weit ist es also schon. Das kann ja heiter werden. Ich wage einen Blick nach oben. Das dauert wohl noch!
Ich versuche gezielt, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen und den Puls zu senken. Das gelingt mir erstaunlich gut und ich komme wieder auf die Füße.
Aber nur wenige Höhenmeter weiter passiert es mir wieder. Wieder lande ich hart auf meinen Knien, diese bedanken sich natürlich mit Nachdruck.
Trinken!
Ich leere in einem Zug eine der kleinen Verpflegungsflaschen und versuche wieder meinen Puls unter Kontrolle zu bringen. Mit mäßigem Erfolg. Trotzdem reiße ich mich am Riemen und stehe auf.
Ich hatte noch nie Probleme mit Höhen!
Und hier, etwas unterhalb der ersten Schutzhütte kann die Höhe kaum Grund für meinen Zustand sein! Oder doch? In Verbindung mit Hitze und wenig Schlaf in den letzten Tagen ist sie vielleicht, wenn auch nur klein, der Tropfen der das Fass zum Überlaufen bringt.
In einem kleinen Waldstückchen ist dann beinahe Schluss. Mir wird übel und schwarz vor Augen. Das kann doch nicht wahr sein! Das will ich meiner Kameradin und mir selbst nicht antun. Doch diese dreht sich um und findet die richtigen Worte, mich nochmals zu motivieren.
Auch wenn ich eigentlich gerade nichts hören oder sehen will, komme ich dem knapp gehaltenen Befehl von oben nach.
„Trink was!“
Ach ja… wenn das so einfach wäre.
Wiedermal zeigt sich, dass wir ein unschlagbares Team sind.
Jeder hat seine Stärken, seine Schwächen, seine „Skills“ und Eigenarten… aber wir passen gegenseitig aufeinander auf und hin und wieder werden Rollen auch einfach mal getauscht. Wo ich normalerweise vorangehe, aus dem einfachen Grund dass ich gerne den vor mir liegenden Weg vor der Nase habe und Maike gerne den Blick beim Aufstieg senkt, folge ich jetzt mit wackeligen Füßen und weitem Abstand meiner Kameradin. Ich konzentriere mich nur noch auf den motivierten Zuruf
„Da oben ist die Hütte! Ist nicht mehr weit!“
Dann ist es endlich geschafft und die Hütte „La Campiñuela“ taucht vor uns auf. 2.375m. Abgekämpft lasse ich meinen Rucksack fallen und bin froh, dass wir ein Teilziel erreicht haben. Ich halte das Gesicht in die Sonne und spüre eine leichte angenehme Brise aufkommen. Auch wenn es mir unangehem ist es zuzugeben:
Für mich geht es heute auf keinen Fall weiter!
Maike scheint nicht sonderlich enttäuscht zu sein. Im Gegenteil. Auch sie sieht ein wenig mitgenommen aus. Bevor wir also nur wenige Kilometer weiter krampfhaft ein Lager aufschlagen müssen, ziehen wir den Schutz und die Bequemlichkeit der alten Schiefernhütte vor. Nur ein Stück weiter verläuft ein Bach, in welchem wir abermals Wasser auffüllen. Nur 50m unterhalb unseres Lagerplatzes ist die Baumgrenze und wir haben schnell Brennmaterial für ein Feuer zusammen.
Dann gibt’s mal wieder die klassische Arbeitsteilung, die sich zwischen Maike und mir in wortlosem Einverständnis in der letzten Zeit „einfach so“ eingestellt hat:
Maike schnappt sich unser Hab und Gut, verschwindet damit in der Hütte um das Lager für die Nacht herzurichten. Ich schichte derweil ein paar Schiefersteine und -platten auf- und übereinander und habe schnell eine sichere Feuerstelle und einen kleinen Ofen zusammengebastelt.
Das ist mir wichtig, denn zur ersten Regel eines Backpackers, vorallem eines solchen, der in der Natur umherrennt gilt:
„Du warst niemals da!“
Da heißt es also, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Erst recht sollte man keinen Schaden verursachen. Im Sommer bei staubtrockener Bergluft, leichtem Wind und über 35° Grad Celsius sind offene Feuer keine gute Idee und sollten eigentlich vermieden werden. Da ich aber weiß, wie kalt es abends plötzlich werden kann, ist mir eine warme stärkende Mahlzeit heute sehr wichtig.
Durch die aufgeschichteten Steine ringsherum und genug Wasserflaschen für den Notfall vermindere ich das Risiko hier auf ein Minimum. Zumal ich mich für die windabgewendete Seite der Hütte entscheide. Jetzt kann ich mich ans Abendessen geben.
Die Schiefernplatten werden auch ohne viel Brennmaterial schnell heiß, was mir doppelt in die Karten spielt. Zum einen werde ich wohl heute kein Brennmaterial mehr sammeln müssen und habe damit Kraft und Energie (und Zeit! 😛 ) gespart, zum anderen kann ich die mitgebrachte Salami auf leckere Art „grillen“. Mit etwas Curry aus der Dose haben wir dann also plötzlich Currywurst! 🙂
Mit etwas Brühe und Brot dazu ergibt das fast ein tolles Festmahl, was wir uns in der nun doch schnell untergehenden Sonne schmecken lassen.
Morgen soll es dann weitergehen. Mal schauen, ob wir die
„Las Siete Lagunas“
diesmal finden!
Für unsere Bergtour haben wir 3-4 Tage eingeplant… da wird sich doch sicher was erleben lassen!? 😉